Auszug aus der Rede von Petra Brüning, Schwäbisch Hall
zur Eröffnung der Aussstellung inbetween mit Ilka Nowicki, 28. April 2023
Inbetween
= dazwischen, Zwischenstadium, Zwischending
= Zwischenwelten mit halbwegs bekannter Vergangenheit und unbekannter Zukunft
= Zwischenwelten auch als Orte der Begegnung und Konfrontation
Einladungskarte: Beide Künstlerinnen wollen Geschichten erzählen von der schwierigen Beziehung zwischen Mensch und Natur, vom Verändern und Zerstören, von den Unsicherheiten, Verletzlichkeit und Brüchigkeit einer sich wandelnden Zeit.
Das ist eine Absichtserklärung.
Schauen wir also mit den Künstlerinnen in die Zwischenräume. Welche Bilder haben sie gefunden, welche Denkräume lassen sich
mit ihren Bildern öffnen?
Mit welchen Bestandsaufnahmen, Momentaufnahmen konfrontieren
sie uns und vor allem: mit welchen künstlerischen Mitteln?
Beide Künstlerinnen arbeiten mit Fundstücken, aus denen sie
Installationen, Assemblagen und Collagen entstehen lassen.
Die Voraussetzungen für das Finden von "Fundstücken" ist nicht das
Suchen, es ist das Sehen, genauer gesagt das bewusste Hinsehen
und Wahrnehmen.
Nehmen wir als Beispiel die Assemblage "Apfelfragmente" von
Sabine Naumann-Cleve.
Im Herbst werden vor dem Haus Von Sabine Naumann-Cleve in
großer Zahl Falläpfel, die auf die Straße gerollt sind, überfahren.
Auf den ersten Blick sieht die Künstlerin überfahrene Äpfel - wie wir
alle.
Aber dann realisiert der Blick der Künstlerin auch Farben, Formen,
Volumen, Strukturen, Texturen und Linien.
Sie sammelt die Äpfel - zunächst absichtslos - auf, trocknet sie auf
der Gartenbank, fasziniert von den Form- und Farbveränderungen
und beschließt, die Fragmente hier und heute im Museum zu
präsentieren.
Aus zerquetschten Apfelresten werden Apfelfragmente.
Aus Äpfeln wird Kunst. Eine Metamorphose.
Was wir als Betrachterinnen und Betrachter auf der Straße nicht
gesehen haben, das sehen wir hier im Museum, denn hier ist
Hinsehen Programm.
Jetzt können w i r plötzlich Farben, Formen, Volumen und Strukturen,
Texturen und Linien sehen.
Das Wort Schönheit ist in der Kunst ein strittiger Begriff.
Ich verwende ihn für die Apfelfragmente trotzdem.
In ihrer Installation "SpeisenKammerErde", in 28 Einmachgläsern:
Gartenerde geschichtet mit pflanzlichen Küchenabfällen, führt uns
Sabine Naumann-Cleve das Werden und Vergehen in der Natur vor
Augen.
Volumen, Konsistenz und Farbigkeit sind in stetiger Veränderung.
Die Schichten verdichten sich.
Der Prozess des Fermentieren wird sichtbar und ist des An- und
Zusehens wert.
Das ist Natur: Panta Rhein. Alles fließt.
...
Auch die Arbeit "N_Immergrün" von Sabine Naumann-Cleve bringt das Material zum Erzählen.
Neun alte Wabenrahmen aus einem Bienenstock.
Die Gesamtheit der Waben nennt der Imker Gewirke.
Auch Sabine Naumann-Cleve hat gewirkt.
Sie hat die Rahmen durchgehend mit Plastikstreifen bestickt -
neun identische Gobelins, eine Fläche aus einem unsympathischen
Hellgrün,
unangenehm wie die Farben von gebeiztem Saatgut, das
den Bienen den Tod bringt.
Die Gobelins snd so schön wie der Kunstrasen, mit dessen
Perfektion die Wiese nicht konkurrieren kann.
Der britische Künstler Marc Quinn nennt eine seiner Serien
"Korrupte Schönheiten".
Das Perfekte korrumpiert das Lebendige.
...
Sabine Naumann-Cleve präsentiert ihr Stillleben - fast - am Boden.
Um die Schönheit des einzelnen Apfelfragments zu sehen, müssen Sie sich beugen, vielleicht auch verbeugen - vor einem jahrtausendealten Kulturgut, denn mit einem Apfel wurde im Urteil des Paris über die schönste Frau entschieden.
In den Kaiserreichen symbolisierte derApfel die höchste Stufe der weltlichen Macht.
Im Alten Testament wurde der Genuss eines Apfels zum Sündenfall. Wenn ein Apfel überfahren wird, wird auch ein Stück Kulturgeschichte platt gemacht.
Ebenso geheimnisvoll wie das Wesen von Ilka Nowicki muten auch die wolkenhaften Gebilde Von Sabine Naumann-Cleve an:
Memento 1 und Memento 2.
Sie bezaubern mit ihrer Schwerelosigkeit und ihren Schattenspielen.
Auch sie scheinen aus Zeit und Raum gefallen.
Beide bestehen aus winzigen Streifen von alten Familienfotos, die
Sabine Naumann-Cleve zu kleinen Häuschen geformt und zu Netzen
geknüpft hat.
Fragmentierte Erinnerungen, die im Raum schweben, uns begleiten,
stabil und instabil zugleich.
Erinnerte Vergangenheiten als Konstruktionen, als Häuser, die wir
bewohnen.
Im Obergeschoss endet die Ausstellung:
Mit unzähligen, federleichten Papierschuhen, die Sabine Naumann-Cleve von ihren Freunden abgenommen hat.
...
Eigentlich wollte ich zum Schluss sagen, dass die Kunst von Ilka Nowicki und Sabine Naumann-Cleve politisch ist, denn sie ist über die Farbe, Form und Linie usw. hinaus absichtlich, mit einer Absicht und mit Werturteilen verbunden.
Es wird mit Kunst etwas transportiert, was außerhalb ihrer selbst liegt.
Aber beide haben den Begriff "politisch" entschieden abgelehnt.
In der Diskussion haben wir dann festgestellt, das wir einen unterschiedlichen Politikbegriff haben.
Unter politisch verstehen die beiden, dass Kunst funktionalisiert
wird - für politische Zwecke - besonders in totalitären Regimen.
Aber von Funktionalisierungen sind Ilka Nowicki und Sabine Naumann-Cleve weit entfernt.
Sie manipulieren nicht, sie geben keine Antworten, ja sie stellen noch nicht einmal Fragen.
Sie zeigen, sie machen ihren Standpunkt sichtbar, sie öffnen Denkräume, die wir Betrachterinnen und Betrachter nur selber füllen können.
Mir ist eingefallen, was der große Literaturkritiker Fritz Raddatz † 2015 einmal über Christa Wolf geschrieben hat.
Seine Sätze wandle ich jetzt für meinen Schlusssatz ab:
Eure Arbeiten sind frei von bemühten, effektheischenden
stilistischen Zeichen.
Jeder Strich, jede Form, die Stofflichkeit - alles ist gesetzt mit einer
inneren Selbstverständlichkeit, alles ruht in einer ästhetischen Balance, die sich großer Sicherheit verdankt.
Einer Sicherheit, die nicht nur auf eurem Wissen um die Geschichte der Kunst und um die Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Darstellung beruht.
Eure Sicherheit beruht auch und vor allem auf Haltung, auf Haltung und Empathie.
Auszug aus der Rede von Claudia Scheller-Schach (M.A.), Künzelsau,
zur Eröffnung der Ausstellung KEIMZEIT mit Babara Schmitz-Becker, 15.9.2019
Naumann-Cleves Arbeiten gründen auf ihrer Wertschätzung der Natur: sie ist fasziniert von der Schönheit und Vielfalt von Flora und Fauna und umso sensibler reagiert sie auf deren Störungen.
In unterschiedlichen Medien und Aktionen setzt sie das ästhetisch um, bzw. setzt dem Desaster was unsere Umwelt betrifft auch ganz praktisch und sinnlich erfahrbar etwas entgegen: z.B. mit ihrer Installation „Muttererde“.
In einer alten Zinkwanne präsentiert sie fruchtbare Erde - der Ur-Grund für Wachstum und Leben, für Nahrung und im wahrsten Sinne des Wortes „geerdet-Sein“. Diese Erde hat die Künstlerin hergestellt, indem sie Küchenabfälle über Monate hinweg gesammelt und unter Ausschluss von Sauerstoff fermentieren ließ. Dieses sog. japanische Bokashi-Verfahren liefert so eine Art Kompost. Es liefert aber auch ein schillerndes Farbspiel: die Künstlerin komplettiert ihre Installation mit Regalböden voller Einmachgläser – aber eben nicht mit Weck-Obst oder Sauerkraut, sondern mit „Speisekammer-Erde“.
In jedem Jahr aufs Neue stolpert die Künstlerin über das Thema „Fallobst“.
Bei uns ist makelloses Obst im Überfluss vorhanden, so dass sich kaum einer bücken mag für die knorzeligen Birnen und Hutzel-Äpfelchen, die tonnenweise auf den Wiesen verrotten.
Vor Jahren waren sie Gegenstand einer Fotoserie (2010 im HFM), hier für unsere Ausstellung machte die Künstlerin sie haltbar per Gipsabguß und arrangiert sie als Wandarbeit: gleichermaßen lapidares wie metaphorisch aufgeladenes Mahnmal.
Im großen Raum (Jagsttalblick) finden wir an drei Wänden auch eine Art Aufschrei - aber ganz leise, ganz subtil: in schillernden Farben sind Insekten abgebildet. Dank der Vergrößerung können wir uns an den vielen feinen Strukturen erfreuen, an der Bandbreite von Flügelformen und Körperstrukturen. Wie in einem Bestimmungsbuch oder auch Käferkasten sind die verschiedenen Arten fein säuberlich ausgebreitet und aufgespießt…man kennt das aus den Biologischen Sammlungen und Naturkundemuseen. Jedoch tun sich in der strengen Reihung viele Lücken auf!
Die Künstlerin illustriert hier mit ihren „Wertgeschöpften“ das Insektensterben, das für unser Öko-System gravierende Folgen haben wird. Der Clou dieser Wandarbeit ist das Material, das die Künstlerin verwendet: sie fertigte die Insekten aus geschredderten Geldscheinen! Glatte, bunt schillernde Banknoten, die in unserem Wertesystem für Wohlstand und funktionierende Wirtschaft stehen, wurden hier verarbeitet. Geld stand und steht noch immer in hohem Ansehen, wird wertgeschätzt. Aber gerade das hat in einer ökonomisch ausgerichteten Landwirtschaft, etwa durch Monokultur zum Schwund der Arten und der schieren Anzahl von Insekten geführt. Die Künstlerin führt diese Zusammenhänge genial in ihrer Wortschöpfung zusammen: „Wert-Geschöpfte“ – was da alles mitschwingt – diskutieren Sie das nachher miteinander!
Ähnlich wie bei ihrer Ausstellungspartnerin ist das künstlerische Konzept auch bei Sabine Naumann-Cleve getragen von einer ganz intensiven intellektuellen Auseinandersetzung.
Für die kreative Umsetzung genügen aber die Recherche von Fakten und das Wissen um Zusammenhänge nicht. Um die komplexen Inhalte und die emotionale Dimension sichtbar zu machen, gilt es jeweils die entsprechende Form, das entsprechende Material zu finden und eine technische Umsetzung dafür zu entwickeln – was das anbetrifft, liebe AusstellungsbesucherInnen, werden wir hier hochwertig bedient!
Eine weitere Arbeit von Sabine möchte ich noch in den Fokus rücken und damit den Aspekt des Emotionalen aufgreifen. Das Werk heißt „Memento“ – Erinnerung; es ist eine aufwändige Papierarbeit, Gesamtform wie auch die Binnenstruktur, wie auch die Art, wie sie präsentiert wird, lässt vielfache Assoziationen zu: kleine Waben bilden eine Gitterstruktur, aber gerade nicht so regelmäßig wie Bienenwaben. Sie ist ist auch nicht starr, sondern beweglich, sehr fragil und durchlässig – so erinnert es an ein Netz in Form eines Bootes. Tatsächlich kann dieses Netz-Boot etwas einfangen, etwas bergen und transportieren: die Künstlerin hat aus privaten Alben ihrer Familie Fotografien verwendet: gerissen und gefaltet und geklebt werden die Erinnerungen im wahrsten Sinne des Wortes verarbeitet: sie werden zugleich bewahrt und bekommen doch eine neue Funktion!
Stichwort „Funktion“: in die Ausstellung hat Sabine Naumann-Cleve auch eine über die optische Erfahrung hinausgehende Arbeit integriert – eine Schüssel mit Wasser steht hinten auf einem Podest – sogar mit der Aufforderung, die Hände hinein zu tauchen - was soll das?
Die Erde und ihre Gewächse (Zwiebelstangen und Basilikumwurzeln) sind in der Ausstellung präsent, Luft ist das Element der Insekten und die bewegte Luft verleiht den zarten Gewächsen in dieser inszenierten Natur einen ganz besonderen Reiz – da sollte wohl das Wasser nicht fehlen, zumal Sie, liebe BesucherInnen, darin auch kleinste Plastikteilchen entdecken können und damit die kritische Verschmutzung der Meere visualisiert wird. Mit Schrecken hat die Künstlerin nämlich festgestellt, dass sie selber auch in der Herstellung von Kunst Abfall produziert. „Plastik klebt an meinen Händen“ – so lautet der Titel - ist damit eine doppelte Reflexion. Wir können sie verstehen als Mahnung was die Müllproblematik betrifft, aber darüber hinaus auch eine Mahnung, was den Kunst- und Kulturbetrieb anbetrifft und an ihr eigenes Handeln.
Daran kann ich nahtlos anschließen, um zum Schluss zu kommen:
Zu Recht fragte der Autor Hanno Rauterberg kürzlich in der „Zeit“ (1.08.2019) „Kann eine Kunst, die das Gute und Richtige propagiert, mehr sein als ästhetischer Ablasshandel?“ – als Beispiel führt er einen Künstler an - Olafur Eliasson - der Superstar der Klimakunst, der Tonnen von Grönlandeis nach London verschiffen ließ, das dort vor der Tate Gallery vor sich hin taute, um auf die Erderwärmung hinzuweisen. Der Autor bezichtigte ihn und das ständig per Flugzeug reisende Publikum der Doppelmoral und sprach von einer „Kunst der Scheinheiligkeit“. Als Alternative schlug er dann auch statt immer neuer klimaschädlicher Großprojekte einen „neuen Regionalismus für die Kultur“ vor….käme er doch nach Langenburg! Hier träfe er auf das Werk zweier Künstlerinnen, die es schaffen, „künstlerische Forschung“ zu betreiben und angemessene Darstellungsformen zu entwickeln. Damit leisten sie einen Beitrag zur Annäherung der Disziplinen: Naturwissenschaft und Kunst können im Austausch voneinander profitieren. Über den interdisziplinären Ansatz vervielfältigen sich die Erkenntnisgewinne. Beispiele dafür gibt es in der Geschichte immer wieder: denken Sie an Leonardo da Vinci, an Alexander von Humboldt, an Maria Sibylla Merian.
Wir befinden uns in einer KEIMZEIT dafür - Danke, Sabine und Barbara, dass ihr eure Saat gelegt habt.